Mobilität muss nahtlos sein

TEILEN

Professor Dr. Harry Wagner ist Forscher, Dozent, Visionär und Unternehmer, plädiert für Seilbahnen, Slotsysteme, Shared Spaces und ein gleichberechtigtes Dasein diverser Verkehrsmittel. Man könnte vieles umsetzen. Mithilfe von KI etwa. Wenn da nicht ein paar Hürden wären.

Haben Sie heute schon ein Verkehrsmittel benutzt?

Nein, ich bin zum Fitnessstudio gejoggt, war dort eine Stunde beim Spinning und bin wieder heimgejoggt. Ich habe heute also nur die eigenen Beine benutzt.

Wenn Sie Verkehrsmittel nutzen, welche sind es?

Alle, je nach Bedarf und Bedürfnis. Ich plädiere auch für eine Daseinsberechtigung sämtlicher Verkehrsmittel vom Auto über den Bus bis hin zum autonomen Shuttle oder dem Zug. Wichtig dabei: Mobilität sollte intermodal sein.

Wie meinen Sie das?

Dass man nahtlos von einem Verkehrsmittel zum anderen wechseln kann. Dass Verkehrsmittel aufeinander abgestimmt sind. Wenn es uns gelingt, mehr Intermodalität in unser Leben zu bringen, wird Mobilität automatisch nachhaltiger.

Wie kann das funktionieren?

Es muss genügend Angebote bzw. Alternativen geben. Der ÖPNV muss gestärkt, subventioniert und ausgebaut werden. Die Seilbahn halte ich in diesem Zusammenhang zum Beispiel für sehr sinn voll. Bestens geeignet für tangentiale Verbindungen, Projektierungszeit von nur etwa zwei Jahren, 100 % ökologisch, weil bestenfalls mit regenerativem Strom betrieben, kostengünstiger als etwa U-Bahnen. Ein Seilbahn-Kilometer kostet zwischen fünf und sieben Millionen Euro. Ein U-Bahn-Kilometer kostet 250 Millionen Euro bei einer Projektierungszeit von rund 15 Jahren.

In einem Forschungsprojekt wird untersucht, inwiefern eine Seilbahn-Trasse über den Geiseltalsee sinnvoll ist. (v.l.n.r. Raphael Schmidt (FMS Future Mobility Solutions), Steffen Keller (Bauamtsleiter Stadt Mücheln), Tamara Beschler (THI Technische Hochschule Ingolstadt) und Prof. Dr. Harry Wagner bei der Cable Car World in Essen).

Sehen Sie weitere Lösungen für eine funktionierende Mobilität?

Autofreie Städte mit Lösungen wie kleinen E-Shuttles, die bei Bedarf Personen beispielsweise zum Arzt bringen. Shared Spaces, wo Straßen gemeinschaftlich von Fahrrädern, Bussen, Autos und Fußgängern genutzt werden, die alle aufeinander Rücksicht nehmen wie etwa in London oder New York.

Das würde ein Umdenken voraussetzen. Wie kann man das forcieren?

Spielerisch zum Beispiel. Wir haben im Rahmen einer Forschungsarbeit ein Spiel entwickelt für Kinder der dritten und vierten Klasse. Da treten vier Verkehrsmittel gegeneinander an: Auto, Bus, Fahrrad und zu Fuß gehen. Die Kinder sollten wählen, abwägen und unterscheiden lernen. Fußgänger sind zwar langsamer, erleben dafür aber keinen Stau und so weiter. Wir haben es in Schulen gespielt. Die Lehrer fanden es toll, in Lehrpläne fließt es jedoch nicht ein. Verkehrserziehung wird genau wie in den 70er-Jahren unterrichtet.

Ist Mobilität also ein Erziehungsthema?

Wir müssen bei den jungen Menschen anfangen, wenn wir wirklich einen Mobilitätswandel, einen Klimawandel herbeiführen wollen. Das muss gar nicht so abgespaced sein. Das Heranführen an den öffentlichen Bus genügt schon. Funktioniert natürlich nicht, wenn man das Kind jeden Tag mit dem Auto in die Schule fährt. Ich fände einen kostenlosen ÖPNV für alle Kinder und Jugendliche sinnvoll. In anderen Städten und Ländern gibt es das.

Stichwort Auto: Ist es nach wie vor ein Statussymbol?

Nicht mehr so extrem, wie früher. Viele meiner Studenten sehen es als Mittel zum Zweck, als sichere Möglichkeit zum spontanen Einsteigen und irgendwohin fahren. Gäbe es alternative Lösungen, die genauso flexibel sind, würden sich die Menschen auch umstellen. Wenn aber Busse z.B. nur alle 45 Minuten fahren und vier Stationen 2,60 Euro kosten, wohl eher nicht.

Aber warum funktioniert es z.B. in Paris, dass mehr Fahrrad gefahren wird als Auto?

Ich glaube, unser Leid ist noch nicht groß genug. In Städten wie Paris, London, Sao Paulo oder Mexiko-Stadt hat der Verkehr eine andere Dimension als in München, Hamburg, Stuttgart oder Köln. In Berlin haben wir übrigens einen sehr hohen ÖPNV-Anteil, denn dort sind die Öffis gut ausgebaut und funktionieren gut. In Kopenhagen 60 Prozent Fahrradverkehr. In Ingolstadt dagegen: über 50 Prozent motorisierter Individualverkehr.

Gab es von Ihrer Seite ungewöhnliche, verrückte Konzepte, die auf taube Ohren gestoßen sind?

Für viele sind Seilbahnen schon verrückt oder das von uns entwickelte Slotsystem für den Güterverkehr entlang der Brenner Trasse. Hier geht’s bald nur noch einspurig voran, weil Brücken saniert werden müssen. Was völlig auf taube Ohren gestoßen ist, war unsere Mozubi-Idee. Mozubi als Wortschöpfung aus Azubi und Mobilität, also der Mobilitäts-Auszubildende. Wir wollten damit in Ingolstadt in Anlehnung an das Spiel Pokémon ein Konzept für junge Menschen umsetzen, QR-Codes an Ampeln und Autos anbringen, worüber man sich über bestimmte Themen der Mobilität informieren und Punkte sammeln kann, die dann z.B. in Bustickets eingelöst werden können.

Professor Dr. Harry Wagner ist Mobilitätsexperte, Mobilitätsforscher, Experte für smarte, nachhaltige Mobilitätskonzepte und intermodale Verkehrsketten. An der Technischen Hochschule Ingolstadt ist er als Professor für intermodale Mobilität und künstliche Intelligenz tätig.

Woran scheitern Konzepte? Welche Hürden gibt es?

Erstens: Mobilität ist oft ein politisches Thema. Das Slotsystem etwa wird derzeit auf der Drei Staaten-Ebene Österreich / Deutschland / Italien diskutiert. Der Einsatz von Seilbahnen hängt oft an kommunalen Entscheidungen. Zweite Hürde: die Finanzierung. Wir in Deutschland stecken in einer Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass-Blase. Wir wollen die Mobilitätswende und kommunizieren das auch in tollen Werbekampagnen, sind aber nicht bereit, etwas dafür auszugeben. Nachhaltigkeit kostet aber Geld.

Kann KI die Mobilitätswende unterstützen?

Durchaus. Man könnte prognostizieren, wann man wo welche Busse in welcher Kapazität benötigt, Kapazitäten also auf die Bedürfnisse der Menschen ausrichten. Dann wären beispielsweise in der Früh die Busse nicht mehr hoffnungslos überfüllt und am Nachmittag komplett leer. Künstliche Intelligenz kann uns auch dabei helfen, dass wir uns künftig intermodaler fortbewegen. Und wenn es uns gelingt, mehr Intermodalität in unser Leben zu bringen, wird Mobilität automatisch nachhaltiger.

Ihre Vision von Mobilität in 20 Jahren?

Ich möchte mir keine Sorgen mehr machen, wie ich von A nach B komme, daher sollte Mobilität nahtlos sein. Und die geeigneten Verkehrsmittel, passend zu meinen Terminen und Bedürfnissen, möchte ich morgens von meinem Smartphone erfahren.

Drei Worte zum Schluss zu Ihrer Meinung nach der idealen Mobilität der Zukunft:

Intermodal. Nachhaltig. Nahtlos.

Fotos: Cable Car World; PR

Carolin Fried

MINT-Redaktion