Jeder weiß es: Fernflüge sind schlecht fürs Klima. Trotzdem reisen immer mehr Menschen immer weiter weg. Interessieren Klimawandel und steigende Preise nicht? Prof. Dr. Harald Zeiss, Wirtschaftswissenschaftler und Spezialist für nachhaltigen Tourismus, plädiert für ein Umdenken, was Reisen betrifft, und gibt Einblicke in sein Denken und Wirken als Forscher und Professor an der Hochschule Harz.
Ist es nicht toll, in Thailand am Meer zu sitzen?
Mit Gitarre am Lagerfeuer am heimischen See oder Meer sitzen, kann auch toll sein. Viele aus den älteren Jahrgängen erinnern sich gern an Camping-Urlaube mit Eltern oder Freunden und an abendliche Abenteuerrunden mit anderen Kindern oder mit der Familie. Da tauchen sofort romantische Bilder auf! Wir haben da etwas verlernt! Nur, weil ich möglichst weit weg fliege, habe ich nicht mehr Spaß.
Wir sollten also keine Fernreisen mehr machen?
Wir sollten umdenken. Wir sollten Urlaub und Reisen neu aufsetzen und zwar emotional und nicht an Hand von Social Media Posts anderer. Erlebnisse entstehen nicht auf Grund von Bildern, die andere auf Instagram gepostet haben oder weil man eine Romanze im Fernsehen gesehen hat. Ich werde diese Erlebnisse vielleicht gar nicht bekommen, weil es regnet, weil ich mich mit meinem Partner streite, weil ich etwas Falsches gegessen habe.
Mallorca wird man den Deutschen schlecht nehmen können.
Und dann im Pauschalhotel Wiener Schnitzel essen – spitz ausgedrückt? In Deutschland erlebt man womöglich Spannenderes! Warum nicht auf dem Westernhof im Harz fahren? Da haben Kinder genauso viel Spaß wie irgendwo auf der Welt und die Anreise ist stressfreier. Es geht doch ums Erlebnis, das mit Menschen verbunden ist und nicht um Gegenden. Gerade, was Familien betrifft. Es geht um Mikro-Abenteuer. Um Kreativität.
Kann man den Großteil der Menschen von Mikro-Abenteuern überzeugen?
Ich denke, das wird gar nicht nötig sein. Es wird sich von selbst regeln. Da stimme ich der sehr deutlichen Aussage von Professor Dr. Stefan Gössling zu, der auf der diesjährigen ITB einen interessanten Vortrag gehalten hat: Der Urlaub, so wie wir ihn kennen, wird in absehbarer Zeit zerstört werden. Auf Grund des Klimawandels wird es zu immer mehr Extremsituationen kommen. Die Reiseländer werden Ausfälle haben und die Preise entsprechend anheben. Versicherer werden bestimmte Produkte nicht mehr versichern, weil Hurrikan-, Überschwemmungs-, Brand- und Dürregefahr steigen.
Könnte Deutschland als Destination besser werden?
Die Corona-Zeit wäre eine gute Chance gewesen. Da sind viele hiergeblieben. Die Folge: Die Preise wurden angehoben und viele können sich einen Urlaub im eigenen Land nicht mehr leisten. Das war nicht so schlau. Statt die Menschen daran zu gewöhnen, im Sommer an die Ostsee zu fahren, wurde dieses Pflänzchen gleich wieder erstickt und man überlegt sich: Was habe ich vor Corona gemacht? Dann fahren wir da wieder hin.
Wird nur der Klimawandel den Tourismus massiv verändern?
Viele Faktoren spielen eine Rolle: Fachkräftemangel, Overtourism, wackelnde Wirtschaftssysteme. Wir erleben einen deutlichen Anstieg an Problemen, bestimmt noch mehr Umweltkatastrophen, wodurch Länder als touristische Ziele natürlich komplett wegfallen.

Was kann man dagegen tun?
Na ja, das CO2 in der Atmosphäre ist nun mal da. Wir können durch Klimaschutz höchstens vermeiden, dass noch mehr dazukommt oder in Richtung Klimaanpassung agieren, also Schwammstädte entwickeln, Deiche höher bauen, überhitzte Orte beschatten. Aber das kostet Geld, was zahlreichen Ländern fehlt.
Touristen könnten Initiativen unterstützen?
Es wäre schön, wenn mehr Geld in Klimaschutz und Klimaanpassung fließen würde. Und es gibt natürlich zahlreiche Initiativen, zum Beispiel Futouris, die Nachhaltigkeitsinitiative der Tourismusbranche. Biodiversitätsschutz steht hier ganz weit oben. Grundsätzlich gilt aber: Der Schaden durch einen Fernflug ist größer als der Nutzen bzw. die Hilfe für das Zielland.
Sind Reisende bereit, mehr für eine Reise zu bezahlen, um Klima und Umwelt unterstützen?
Minimal. Sie investieren vielleicht fünf bis zehn Euro. Um den CO2-Ausstoß pro Kopf bei einem Flug nach zum Beispiel Vietnam zu kompensieren, müssten Tickets allerdings bis zu 4.800 Euro kosten. Wer würde das schon investieren?
Wird der Tourismus zum Erliegen kommen?
Nein, das glaube ich nicht. Zumal die Asiaten und Südamerikaner immer mehr touristisch unterwegs sind. Die Frage ist eher: Wie viel Freizeit habe ich? Wie kann ich sie gestalten? Kann ich mir einen Urlaub leisten, der immer teurer wird, während die Kosten des täglichen Lebens kontinuierlich steigen?
Was sagen Sie Ihren Studentinnen und Studenten?
Begreift euch nicht als Touristiker im Sinne von: Was kann ich machen, wenn Menschen Urlaub machen, sondern begreift euch als Freizeitgestalter. Da werden die Möglichkeiten viel größer und vielfältiger.

und Experte für nachhaltigen Tourismus.
Was lernt man in Ihren Vorlesungen?
Als Spezialist für nachhaltigen Tourismus lehre ich zum Beispiel, was Leistungsträger und Urlaubsländer für den Erhalt der Umwelt machen müssen. Außerdem geht es um soziale Nachhaltigkeit wie Menschenrechte, Kinderschutz im Tourismus, Diskriminierung und Gleichheit der Geschlechter sowie um Ökonomie also um die wirtschaftlichen Effekte rund um Beschäftigung und Einkommen oder die Abhängigkeit vom Tourismus. Ich behandle auch den Bereich Ökologie – Natur, Biodiversität, Tierschutz. Und wir beleuchten die Aktivitäten von Flugbranche, Kreuzfahrtindustrie, Reiseveranstalter, Mietwagen, Bahn, Bus.
Gibt es ein dominantes Thema?
Das Klima ist und wird immer eines der wichtigsten Themen sein. Der Tourismus ist Verursacher und Leidtragender zugleich. Die Emissionen im Sektor Reise steigen massiv an, während sie in anderen Bereichen sinkt. Das nächste große Thema ist jedoch Biodiversität. Schutz von Naturräumen. Die Verkettungen sind hier nur wenig bekannt
Ihre persönlichen Tipps für Reiselustige?
Bucht keine Reise auf Grund von schönen Bildern, sondern eine Reise, bei der Erlebnisse entstehen. Fliegt nicht so weit und weniger. Nehmt die Bahn oder den Bus, macht aus der Anreise ein Erlebnis, entdeckt das Hinterland, besucht lokale Manufakturen. Werdet wieder Regisseure Eures Urlaubs! Zu einem schönen Urlaub gehört nicht zwingend ein Umsteigen in Dubai.
Fotos: Imagebild; Christian Wyrwa