Die Goldgrube im Münchner Norden

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Wo früher die Bayernkaserne stand, wächst ein neues Stadtviertel heran. Schon jetzt ist das Projekt ausgezeichnet, denn rund die Hälfte des Bauschutts wird vor Ort recycelt. Und das ist ein Segen fürs Klima und spart Millionen. 

Die Gruben für zwei Schulen sind schon ausgehoben. Betonklötze, die wie riesige Legosteine aussehen, verteilen sich übers Gelände und so weit das Auge reicht, kraxeln Pyramiden aus Kies in den Himmel. Das Areal der ehemaligen Bayernkaserne im Münchner Norden hat etwas von einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Oder von einem riesigen Steinbruch. Dass die Baustelle eine ganz besondere ist, sieht man nicht auf den ersten Blick. Da wird halt gebuddelt und zwischen Kränen, Gruben oder irgendwelchen Anlagen fahren Bagger und Lastwägen hin und her. Allerdings: Bei diesem Bauvorhaben handelt es sich um ein Modellprojekt, das wegweisend für weitere sein könnte. Und das ist dann schon einen genauen Blick hinter die Kulissen wert. MINT durfte Maulwurf spielen und spannende Erfahrungen machen.

Beinahe ein kleiner Tagebau: die "Ehemalige Bayernkaserne" © MPM AG Media / DMU Consult

Auf einer Rundfahrt über das 50 Hektar große Gelände kommen wir an einer großen, weißen Halle vorbei. Dort wird neuer Beton aus alten Mineralstoffen hergestellt, wie wir erfahren. Weiter drüben werden gute Materialien von schlechten getrennt, an anderer Stelle grobe Steine zu feinen gesiebt. Riesige Mengen an Mineralstoffen werden aus dem Boden und aus den Gebäuden gezogen. Das macht die Baustelle zu einer regelrechten Schatztruhe. Und in jedem der bis zu fünf Meter hohen Kieshaufen steckt eine Geschichte. Jeder war mal ein Teil des Lebens hier in der Bayernkaserne. Vielleicht ein Wohnhaus,
vielleicht ein Garten, vielleicht eine Straße. Jetzt geben Brech-, Misch- und Siebanlagen, Lastwägen und andere Fahrzeuge den Ton an. Alle dafür im Einsatz, dass dieses Bauprojekt beispielhaft für einen zukunftsweisenden Städtebau wird.

Aus 1,2 Millionen Bauschutt kann die Hälfte vor Ort wiedereingesetzt werden

600.000 Tonnen Abbruchmaterial können recycelt werden. Eine unvorstellbar große Menge. Die andere Hälfte ist dann wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen. Die gute Hälfte wird aufgeteilt: Aus einem Drittel des recycelten Materials, also aus etwa 200.000 Tonnen, wird neuer Beton zum Bauen hergestellt. Der Rest kommt in den Straßenbau oder wird zu Substraten verarbeitet. Der große Knüller ist, dass hier direkt vor Ort recycelt wird, und dass die Ursprungsbebauung nicht einfach platt gemacht und irgendwohin gekarrt wird. 3,3 Millionen Kilometer weniger unterwegs sind die Lastwägen der Baustelle Bayernkaserne. Das sind 82 eingesparte Runden um die Erde! Das muss man sich mal vorstellen.

Sogar die Ziegel unter dem Putz können sinnvoll verwertet werden. Sie sind wasserdurchlässig und perfekt geeignet für Substrate. Eine Teststation sehen wir gleich mit eigenen Augen. Mitten in der öden Kieslandschaft überrascht uns plötzlich eine grüne Oase. Hier im Pflanzgarten wird ausprobiert, welcher Baum, welcher Strauch und welcher Rasen wie und auf welcher Erde besonders gut gedeiht. Was am besten wächst, wird man
später in den öffentlichen Grünflächen einsetzen. 

Schweres Gerät macht Erdreich und Bauschutt wieder verwertbar.

Mit der Bayernkaserne ist München als Partnerin beim EU-Projekt URGE angetreten.

Das Projekt ist nicht nur für München wichtig, sondern setzt Zeichen und prägt Europas Zukunft entscheidend mit. Als Partnerin im EU-Projekt URGE macht die Landeshauptstadt einen wichtigen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit auf dem Bausektor. Auch Utrecht, Kopenhagen, Prato, Granada, Kavala, Riga, Maribor und die portugiesische Region Oeste sind Teil des Projekts. Man profitiert voneinander, berät und inspiriert sich gegenseitig. „München sucht dabei gezielt den Dialog mit anderen Städten. Denn wir sind ein Europa
der Städte. Hier werden die Zukunftsthemen gelebt, hier werden sie entwickelt. Und nur gemeinsam werden wir der Klimakrise erfolgreich begegnen“, sagt auch Münchens zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden.

In etwa zehn Jahren soll das neue Viertel fertig sein. Dann können hier bis zu 15.000 Menschen in 5.500 Wohnungen leben und von all dem profitieren, was hier jahrelang von den Frauen und Männern der Baufeldfreimachung und Material-Recycling geleistet wurde. 

Ausstellung exemplarischer Fertigprodukte.

Carolin Fried

MINT-Redaktion