Tinder für Baustoffe

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Bei Concular matchen Anbieter und Suchende von wiederverwendbaren Bauteilen. Das Team um Annabelle von Reutern kümmert sich aber noch um viel mehr. Um Materialpässe etwa. Ein aufschlussreiches Gespräch mit der Architektin.

Kürzlich konnte man bei LinkedIn lesen, Concular habe seinen Auftrag erfüllt und produziere jetzt E-Fuels. Das war natürlich ein April-Scherz. Die Baubranche ist noch lange nicht so grün, wie sie sein sollte. Dabei weiß jeder, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Annabelle von Reutern ist Head of Business Development bei Concular, der ersten und bisher einzigen digitalen Plattform für ressourceneffizientes Bauen in Deutschland. Sie sagt: „Übernehmt endlich Verantwortung!“

  1. Wer oder was ist Concular?

Wir entwickeln Alternativen zum herkömmlichen Umgang mit Ressourcen. Wir machen Ressourcen sichtbar und halten sie im Kreislauf. Wir zeigen, wo eine Immobilie ein regelrechtes Wertstofflager ist oder werden kann. Kurz und gut: Wir helfen der Baubranche, ressourceneffizient und CO2-neutral zu werden.

 

  1. Wie kann Concular der Baubranche helfen?

Concular steht auf drei Beinen. Erstens: Bestandserfassung – das läuft per Handarbeit, also dem konkreten Abklopfen von Wänden etwa, und digital, indem wir genau erfassen, was in Gebäuden verbaut wurde, was schadstofffrei ist, was zerstörungsfrei ausgebaut werden kann und wiederverwert- oder wiederverwendbar ist. Zweitens: Vermittlung –

hier geht es um Rezertifizierung und auch darum, Hersteller und Käufer ausfindig zu machen sowie ums Matchen von Verkäufern und Käufern bei allem, was nicht in den Müll muss. Unsere dritte Säule ist der Materialpass oder „Life-Cycle Passport“, der dokumentiert, welche Baumaterialien verbaut sind und wie zirkulär ein Gebäude ist.

 

  1. Was haben die Menschen davon?

Investoren, Bauherren und Projektverantwortliche werden darüber aufgeklärt, welche Ressourcen in einer Immobilie stecken. Potenzielle Kaufinteressenten können sich mit Materialien oder auch Bauteilen eindecken.Und alle praktizieren aktiven Umweltschutz, indem sie Ressourcen, Abfall und CO2 einsparen.

 

  1. Concular ist also auch eine Art Second Hand Laden für alles, was von, an, bei Gebäuden nicht auf den Müll muss?

Genau: Was nicht recycelt werden kann oder soll, wird zum Verkauf angeboten. Alte Türen, tolle Leuchten, Heizkörper, Pflastersteine, Waschbecken, Klappstühle aus ehemaligen Sportstadien zum Beispiel. Einfach mal in unserem Material-Shop schauen oder uns die Bedarfe nennen.

 

  1. Woran liegt es, dass nicht bei jedem Abbruch oder jeder Sanierung so gedacht und gehandelt wird?

Am Kapitalismus. An einer starken Lobby von Seiten der Hersteller. An einem seit Jahrhunderten eingefahrenen patriarchalisch geprägten System, das auf Ausbeutung beruht. An den Deutschen, die Angsthasen sind, nach dem Motto: lieber keinen Fehler machen! Die Niederlande und Skandinavien sind da schon viel weiter. Auch in den U.S.A. heißt es „try again“, wenn mal was nicht gleich hundertprozentig glatt läuft, und man wird viel mehr unterstützt als bei uns.

 

  1. Ihr Appell?

Eigenverantwortung übernehmen. Raus aus der Opferhaltung kommen. Weniger bauen, weniger abreißen. Innerhalb planetarer Grenzen wirtschaften. Jeder Mensch kann jeden Tag nach dem Aufwachen aufs Neue entscheiden, wie er leben möchte, was er tun oder lassen könnte. Also nicht mehr warten, sondern anfangen. Wenn auch nur im Kleinen. Aktiv werden.

 

  1. Wie kann man in Sachen Materialrecycling am Bau aktiv werden?

Man kann sich in der Politik engagieren, bei der Deutschen Umwelthilfe, in Arbeitsgruppen bei z.B. der Architektenkammer oder bei „Architects for Future“, die sich mit „Fridays for Future“ solidarisieren, oder Mitglied werden beim „Verband für Bauen im Bestand e.V.“ (https://www.fuerbauenimbestand.de/#wir-section), wo ich selbst Gründungsmitglied bin. Oder ganz praktisch Baumaterial substituieren und re-use Material verbauen.

 

  1. Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Für unser Unternehmen natürlich, dass in jedem Projekt Concular involviert ist. Für uns alle, dass die Bauwende zur Klimawende beitragen konnte.

Mitarbeitende von Concular beim Projekt VfB Stuttgart, Mercedes Benz Arena in Kooperation mit asp Architekten ©Thomas Jones
Wie hier in der Mercedes Benz Arena in Stuttgart werden die Teile exakt vermessen ©Thomas Jones

Concular auf einen Blick:

  • Gründung: 2020
  • Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 40 (aus den Bereichen Architektur, Planung, Software-Entwicklung, Marketing, Sales)
  • Projekte bisher: rund 250, überwiegend in Deutschland
  • Vision: zirkuläres Bauen befördern und damit die Baubranche unterstützen, ressourceneffizient und CO2-neutral zu werden
  • Leistungen: Life-Cycle Passport (= Pendant zum Gebäuderessourcenpassder Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB), Circularity Check (= kostenfreie Erstprüfung eines Projekts), laufende Beratung, Vermittlung und Verkauf z.B. im Material-Shop
Vor dem Abbruch werden alle Teile genau unter die Lupe genommen ©Thomas Jones
In der Datenbank erfasst Concular sämtliche Teile und Materialien ©Thomas Jones

Details über Leistungen, Angebot und Projekte: https://concular.de

Carolin Fried

MINT-Redaktion